Antike Mythen
Leihgeber
59 Künstler
In der Vergangenheit die Gegenwart erkennen
Mit der Bild- und Geschichtswelt der Vergangenheit der Gegenwart ihr wahres Antlitz zeigen, das gehörte zu den Charakteristika der ostdeutschen Kunst in Literatur, Theater und bildender Kunst, unterscheidet sie sowohl von der west- wie osteuropäischen Kunstentwicklung. 2700 Jahre reichen jene Mythen zurück, mit denen Griechen die Welt- und Zivilisationsgeschichte erklärten, im mediterranen Raum verbreiteten und, von den Römern übernommen, auch unsere Wertvorstellungen mitbestimmten.
Die Ausstellung „Vom Paris-Urteil zum Kassandra-Ruf. Antike Mythen in der bildenden Kunst der DDR" lässt 59 Künstler aus drei Generationen zu Wort kommen. Ein Blick mit europäischer Weite, eine Themenwahl aus Götter- und Heldengeschichten, in dem sich Hoffnungen und Enttäuschungen, Kritik und Resignation der Künstler sensibel und leise bis provokant und schrill zu brennenden Fragen der Zeit wie zur eigenen Gewissensnot äußerte.
Sowohl die menschliche Nähe als auch die Vieldeutigkeit der Götter und Heroen hielt über zwei Jahrtausende das Interesse wach und fand Eingang in die christlich geprägte Kultur Europas. Biblische Geschichte und frühes Christentum schöpfen aus den gleichnishaften antiken Mythen. Wie die Menschenschöpfung gleiche Sinnbilder nutzt, so finden Ereignisse, sinnhafte Orte und Attribute Eingang.
W. vom Schemm und E. Hahs verbinden mythisches und biblisches Geschehen auf der Suche nach Bildern für das grenzenlose Leid unter faschistischer Herrschaft und Krieg. In ihren Werken beschreiben antike Mythen den Weg zu Trauer, Menschenwürde und geistiger Freiheit.
Auch für DDR-Künstler in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts hielt die Antike ein Reservoir an Figurenkonstellationen und Geschehnissen bereit, die bild- und gesellschaftswirksam waren. W. Sitte findet in den Harpyien, Mischwesen, die Nahrung und Leben ungenießbar machen, Allegorien zur erneuten Reglementierung der Kultur und Kunst in den Formalismusdebatten, auf die ein Jahrzehnt kulturellen Stillstands folgt.
Mit Werken zum Paris-Urteil von G. Seitz, W. Sitte, S. Kandt-Horn wird eine Charakterisierung des sozialen Wandels in der Gesellschaft beschrieben, der sich im Themenkreis von Dädalos und Ikaros zu Bildern zwischen Hoffnung und Enttäuschung steigert. Arbeiten von E. Hahs, G. Bachmann, A. T. Mörstedt, R. Paris, K. Schwabe, S. Tischendorf, F. Voigt, B. Heisig, W. Mattheuer, D. Ranft-Schinke, R. Loewig geben ein Bild der vielfältigen Deutung des Ikaros – von der Kühnheit des Jünglings über die Mahnung vor Selbstüberschätzung und Scheitern bis zum Lob der Mäßigung in Gestalt des Dädalos bei G. Altenbourg. Prometheus der Menschenbildner und Kulturbringer wird oft zum Sinnbild der hochgesteckten Erwartungen an einen prosperierenden, den Menschen dienenden neuen deutschen Staat. Nicht erst die Beispiele aus der Prometheusmappe 82 stellen diesen Optimismus infrage. S. Pohl zerrt selbst an den Ketten der Unfreiheit, F. Cremer, J. John, R. Paris hinterfragen den gesellschaftlichen Optimismus, mahnen zur Wahrhaftigkeit. Schließlich sind es König Sisyphos und Paris' Schwester Kassandra, mit denen über die Landesgrenzen hinaus W. Mattheuer, H. Hegewald, R. Kuhrt von Gefahr und Perspektivlosigkeit künden.
Aus Mahnung wird Anklage und die Arbeit an dem Sinnbild des 20. Jahrhunderts führt nicht zu Prometheus oder Ikarus, sondern zu Marsyas, der es wagte, die bestehende Ordnung des Apollon herauszufordern und unterlag. Zur Strafe wurde er geschunden wie die Völker im vergangenen Jahrhundert, davon kündet das Werk der Zeitenwende von H. P. Müller.
Was sich in der europäischen Kulturgeschichte in humanistische Bildung und christliches Bekenntnis trennte, führen Künstler im Trojanischen Sagenkreis wieder zueinander, so in den Illustrationen von C. C. Gröszer zur Odyssee.
Schließlich sind es die Göttergestalten selbst, Zeus (Jupiter), Ares (Mars) und Aphrodite (Venus), Eos (Aurora) und den Göttern anverwandte Königsgeschlechter, denen Danae, Helena, Leda, Europe, Elektra und Iphigenie entstammen, die in der bildkünstlerischen Gestaltung das Geheimnis der fortwirkenden Anziehungskraft der Mythen preisgeben: in ihrem fassettenreichen menschlichen Charakter. Das Ensemble der Deutungswelt vervollständigen Mischwesen, die noch heute unsere Phantasie beflügeln, wie Pan und Bacchos (Dionysos).
Die Ausstellung vereint Inkunabeln der DDR-Kunst, wie G. Seitz Relief Parisurteil, B. Schönfelders Nike II, brillante Analysen der Ideengeschichte des vergangenen Jahrhunderts von A. T. Mörstedt, R. Kuhrt, H. H. Grimmling, U. Pfeifer, B. Michel.
Ein Festmahl für die Sinne mit Bezügen zur Weltliteratur, ein Bekenntnis zur Menschheit und Menschlichkeit, ostdeutsche Künstler in Mitverantwortung, ein Diskurs über Generationen, der für die Gegenwart nicht an Aktualität verloren hat.
Dafür danken wir 24 Leihgebern - namhafter Museen und Kunstfonds, Künstlerstiftungen, Nachlasserben und Kirchenarchiv, ohne deren Verständnis und großzügige Unterstützung die Ausstellung nicht möglich wäre und wir danken dem Bezirk Marzahn, der die gemeinsame Ausstellung mit Mitteln des Kulturfonds unterstützt.
Eröffnung der Ausstellung durch Stadträtin Juliane Witt |
Dr. K. Schumacher über die Ausstellung (vollständige Rede) |
Bildwerke und Musik | Zur Ausstellung mythische Motive |
Eine Führung durch die Ausstellung Teil 1 | Eine Führung durch die Ausstellung Teil 2 |
Der Flyer war zugleich Wegeleitung in der Ausstellung (0,9 MB) |
Auszug aus dem Katalog (0,5 MB) | Resümee der Ausstellung (1,1 MB) |