Zeitgeschichtliches Archiv

4 Oktober 2024

Nach sinnlos vergeudeten anderthalb Jahren unsers intensiven Bemühens im Bundesarchiv und der Staatsbibliothek, in der Bundespolitik, auch unter Landes- und Uni-Bibliotheken, die sich mit deutscher Geschichte befassten, bis in die allerletzte Stiftung in Deutschland einen Träger für das Kulturgut Presseauschnittarchiv deutsche Zeitgeschichte zu finden, begann erdrückend strukturelle Gewalt unsere Hilflosigkeit mehr und mehr in Selbstaufgabe übergehen zu lassen. Im Sommer sollte in die durch uns lange Jahre genutzte Halle der Fundus der Komischen Oper aufgenommen werden. Vorher wären noch die durch uns gemauerten Trennwände abzureißen. Die Stiftung Oper in Berlin war Eigentümer der Immobilie geworden und die Tage des ZgA waren ohnehin gezählt, denn das Bezirksamt hatte uns längst gekündigt. Es setzte der letzte Plan ein: Mitte März begannen wir die Vernichtung der Presseausschnittsammlungen, einer nach der anderen, so mein Plan – die Rotpunkt-Ordner zum Schluss; dies waren die Datenbank recherchierbaren Ordner. Zeit schinden, um doch noch Übernehmer zu finden.

12.

Zwanzig Kubikmeter Presseartikel füllten den ersten Container. Alles was in der deutschen Nachkriegszeit, dann in der BRD und der DDR über die Länder der Erde geschrieben und sorgsam gesammelt worden war, unser ZgA-Segment Länderarchiv - das gibt es nicht mehr. Mein Blick in dem Inferno fällt auf einen Artikel. Sauber aufbewahrt, der sowjetische Außenminister Molotow 1946 auf „Kraft durch Freude“- Papier. Die grüne Urlaubsnachsendetüte für Zeitungsdrucksachen war seinerzeit gerade Geschichte geworden, das Hakenkreuz auf der Fahne des Urlaubsidylls gelöscht.

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Einschränkend muss gesagt werden: Das Länderarchiv gibt es fast nicht mehr. Am 23. März stoppte ich die Vernichtungsaktion. Vorausgegangen war: Am Vortag hatte ich unser Bemühen um Rettung der Sammlungen nicht mehr auf Institutionen in Deutschland, statt dessen auf einige Länder der Erde konzentriert - nach unserem allerletzen Versuchsobjekt, dem bedeutsamen „Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“, das später von Halle aus Geschichte schreiben soll.

Wie ist das mit der Verantwortung für ein Kulturgut, wenn man keine anonyme Struktur für Delegierung und keinen Verantwortungsträger über sich hat? So wie der allerletzte Nutzer unseres Presseausschnittarchivs dachten sicher nicht wenige, als sie von der einsetzenden Vernichtung erfuhren. Er schreibt: „Das Foto mit dem Container und den zu vernichtenden Akten würde ich untertiteln mit Bücherverbrennung 23 - kalt und recycelbar.“

Ich denke, zugespitzt ist diese Einschätzung nicht von der Hand zu weisen. Vor allem wenn man bedenkt, wie heutige Definitionsmacht Geschichtsverläufe revidiert, “mit immer frischen Schichten historischer Neudeutungen, weniger auf Grund bahnbrechender Erkenntnisse als auf der Basis von Ideologien … und seit 1989/90 wird radikal umgedeutet…“ (Bollinger)

Hätten wir das gesamte ZgA vernichten müssen, makulieren heißt es weniger unangenehm, d.h. zu Makulatur gemacht, träfe niemanden rechtlich Schuld. Im Gegenteil: Unsere Not ergab sich mit dem Wegfall unserer Geschäftsgrundlage und der Zwang des Faktischen erreichte uns mit der Kündigung der Räume durch das Bezirksamt. Weder der BRD-Staatsapparat noch Landesregierungen, sind in diesem System zuständig für „private“ Archive, also ohne Verantwortung in der Sache. Das stimmt aber so nicht ganz. Wir waren konsterniert, als uns eine Abgeordnetenanfrage nebst Antwort der Berliner Kulturverwaltung zugeleitet wurde. In dieser schriftlichen Anfrage an die Senatsverwaltung für Kultur und Europa wurde am 29.März 2023 u.a. gefragt: „Inwieweit ist das Landesarchiv (im Sinne seiner beratenden Funktion gemäß Archivgesetz) in der Suche nach einer alternativen Unterbringung für die Bestände beteiligt? Was hat das Landesarchiv zum Schutz der Bestände unternommen?“ Die Antwort des Staatssekretärs Dr. Torsten Wöhlert: „Auf Anfrage der Leitung des ZGA hat das Landesarchiv Berlin im Rahmen eines Beratungsgesprächs diese Aufgabe wahrgenommen.“ Die Wahrheit ist: Das Landesarchiv hat nie mit uns ein Beratungsgespräch durchgeführt, wir waren dort auch nie vorstellig und wussten zudem nichts von deren Beratungsfunktion. Erklärlich, da unsere Suche nicht Einrichtungen der Berlin-Geschichte galt.

Die Sammlungen des ZgA entstanden und waren nützlich, unter anderen gesellschaftlichen Verhältnissen.
Heute braucht es auch keine aufgeputschten Studenten zur Bücherverbrennung wie vordem. Die gleiche Gesellschaft hat sich gewandelt. Heute regelt der Markt und mit ihm der Entzug materieller Existenzgrundlagen - im Ergebnis dann „Sachzwänge“, in einer Welt anonymer bürokratischer Strukturen. Die moralische Schuld fällt so auf den Exekutor zurück oder er findet Anerkennung – je nachdem.

Schlussendlich ist es uns aber weitestgehend gelungen, den absolut überwiegenden Teil der Sammlungen weiter zu reichen, womit die Zukunft der Sammlungen wieder offen ist und das ist ein Erfolg!

Dr. Harald Wachowitz